5. Juni 2023

Zehn Jahre «Gassabeizli» in Calfreisen

Reportagenreihe «zTal und zBerg.
Schanfigger Momentaufnahmen». Heute im Porträt: Norma Sprecher

Genau heute, an diesem regnerisch milden Samstag, dem 13. Mai 2023, feiert das «Gassabeizli» sein Zehn-Jahr-Jubiläum. Das «Gassabeizli» ist eine kleine, schmucke Besenbeiz im Parterre eines Calfreisener Holzhauses. Innen mag es überschaubar sein, draussen aber erstreckt sich der Blick auf das weite Tal, denn entlang der Hausfassade findet man einen der schönsten Höcks im Schanfigg. Frontal blickt man in Richtung Gürgaletsch und Alpstein, weiter unten erspäht man die Dörfer Tschiertschen und Praden, hinten raus sogar Malix. Wenn es mal zu sehr zieht, kann man sich ums Eck an den grossen Holztisch setzen. Hier verweilt man in direkter Nähe einer wunderbaren Steinmauer mit fein-violettem, gelbem Blumenmeer und kann in vollen Zügen den Geheimtipp vom «Gassabeizli» geniessen: den Montalinzauber, den man am besten zusammen mit Norma, der Wirtin, trinkt.

Sympathische Gastfreundschaft

Norma Sprechers sympathische Gast- freundschaft gehört zum «Gassabeizli» wie die Schlagsahne auf den Montalinzauber. Gerne gibt sie Gästen Auskunft, erzählt vom Tal und von den Dorfgeschichten, dabei hört sie aber auch aufmerksam zu oder erzählt Anekdoten von sich selber und ihrem Beizli. Angesprochen auf das Jubiläum und die Eröffnung meint sie salopp: «Hüt vor zehn Johr bini aifach uf Chur ind Niki’s Möbelhalle und han Tisch und Stühl kauft und gsait, so, ab hüt isch das do as Beizli». Der Wunsch, in Calfreisen ein Beizli zu eröffnen, sei vor allem im Reflex auf die vielen Wanderer entstanden. Viele kommen vom Montalin her und möchten im Dorf noch etwas verweilen, bevor’s wieder heimwärts geht. Ausserdem sei es schon immer ihr Traum gewesen, ein Beizli zu führen. Gedacht, getan. Sie habe den Schritt nie bereut und jetzt, nach zehn Jahren, könne sie durchaus sagen, dass es genau das war, was sie immer gewollt habe.

«Was hemmer alles gmacht?»

In den letzten zehn Jahren hat Norma mit dem «Gassabeizli» schon so einiges erlebt. Fragt man sie nach besonderen Momenten, wird sie zuerst still, denkt nach, bevor sie dann einen nach dem an- deren aufzählt. Besonders in Erinnerung sei ihr der allererste Grossanlass, grad kurz nach der Eröffnung: eine Hochzeit von zwei Männern. Die Grüscher Festgesellschaft sei dafür extra nach Calfreisen gekommen. Sie habe eigentlich gar nicht gewusst, wie sie das alles machen soll, und ihre ganze Familie habe ihr beim Apéro helfen müssen. Zum Glück sei aber alles Tipptop gegangen. Schmunzelnd fügt sie hinzu, dass sich einzig einige einheimische Cal- freisener am Abend dann plötzlich gefragt haben, wieso denn jetzt eigentlich die Braut nie zu sehen war. Besonders gefreut habe sie, dass die Schwester des Traupaares sie Jahre später extra nach Grüsch für ihren eigenen Hochzeitsapéro bestellt habe. So was sei doch einfach schön.

«Bis d Mama nai sait, gohts lang»

Schlussendlich war das aber nur das erste von vielen Highlights. Wenn sie gefragt werde, probiere sie eigentlich fast immer, alles zu machen. Ihr Sohn Christian fügt milde hinzu: «Bis d Mama nai sait, gohts lang» und Norma meint hastig, dass es aber nur «gächi», solang ihr ihre Kinder und ihr Bruder so gut helfen. In guter Erinnerung bleibe zum Beispiel der Wandergottesdienst auf Balnettis. «I waiss nidt wia viel Wasser i dä Berg ufabrocht han», erinnert sich der Sohn. Aufregend war auch die Filmvorführung im Stall Röza, für die 70 Leute erwartet wurden und rund 120 auftauchten. Sie sei mit ihren Getränken schon nach Minuten ausgeschossen gewesen. Ihr Bruder habe aber kontinuierlich Nachschub geholt, was er auch heute immer mal wieder für sie macht. Diese familiäre Verbundenheit zeigt sich auch, wenn Norma über früher und ihre Kindheit in Maladers spricht. Sie sage immer, sie habe es von ihren fünf Geschwistern am weitesten weggeschafft – durchs Tunnel bis nach Calfreisen. Und in diesem Sinne ist es ganz passend, dass auch die nächste Generation Familie wertschätzt. Wenn man Norma fragt, was denn die Zukunft bringe, erzählt sie nämlich, dass ihre Enkel letztens meinten: «Nani, das hier übernehmen mal wir».

«As git nur das, was für mi stimmt»

Normas Grosszügigkeit allen Wünschen entgegenzukommen, changiert mit ihrer Bo- denständigkeit alles nur so zu machen, wie es sich für sie richtig anfühlt. Es müsse halt schon passen. Dementsprechend heimelig ist ihre Menükarte, auf der hauptsächlich Bündner Gerichte wie selbst gemachte Capuns, Maluns und Gerstensuppe nach Familienrezept stehen. Im Grunde sei sie aber auch spontan. Grad heute habe sie jemand gefragt, ob sie für einen Besuch aus dem Unterland Capuns auftischen könne. Da sie keine Eigenen gehabt hat und nichts Gefrorenes von jemand anderem auftischen wollte, habe sie kurzerhand vorgeschlagen, doch einfach Zürigschnetzlets zu machen – das sei in diesem Fall doch stimmiger. Die gleiche Haltung hat sie im Herbst, wenn es ums Wild geht. Norma tischt nur heimisches Wild von Jägern auf, die sie kennt, manchmal gäb’s drum was, manchmal nicht. Die Leute würden das aber verstehen und schätzen. Diese Mischung zwischen grosszügiger Gastfreundschaft und ehrlicher Bodenständigkeit verleiht dem «Gassabeizli» einen einzigartig sympathischen Charakter, der unterstreicht, wie eng das Beizli mit Norma selbst zusammenhängt. Dazu passt auch der exklusive Montalinzauber, ihr eigens kreierter Kafi mit Schuss, den sie von Anfang an Wanderern auftischt. Was genau drin ist, verrät sie niemandem. Schmunzeln fügt sie hinzu: «I töff jo schliasslich macha, wasi will». Unser Glück, dass Norma meistens nicht viel mehr will, als allen Freude zu bereiten.

 

Fotos: Ursula Meisser

Carla Cabrí Arosa Tourismus | © Arosa Tourismus
Autorenschaft
Carla Gabri
Zum Profil